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FORMEL – Diplomverteidigung am 9. Juli 2013, 14:30 Uhr, Volte studio
[…]
Mathematische Formeln sind gute Kommunikationsmittel: Sie werden weltweit verwendet und verbinden ein internationales Netzwerk. Oft symbolisieren sie aber auch ungute Erfahrungen aus der Schulzeit. Denn wenn es um Mathe geht, hört man oft und gerne »Das ist nicht für mich!«
Das klingt und wirkt wie eine Entscheidung. Was kann so stark sein, dass man es nicht mehr versucht?
Bei Fremdsprachen ist es anders: man sagt zum Beispiel, man könnte kein englisch aber man traut sich trotzdem, englisch zu sprechen.
Bei Fremdsprachen ist es anders: man sagt zum Beispiel, man könnte kein englisch aber man traut sich trotzdem, englisch zu sprechen.
Bei Mathematik kommt auch dazu, dass jeder es können sollte. Man schämt sich und will es nicht zeigen. Da spielt Stolz eine Rolle.
WAS WOLLTE ICH MACHEN?
In dieser Arbeit geht es nicht um eine Popularisiesung der Mathematik. In der Popularisierung steckt immer ein Stück Herablassung.
Es geht nicht um Vereinfachung oder darum, etwas für alle zugänglich zu machen. Es geht nicht um eine bestimmte Methode. Auch nicht um Bissigkeit.
Es geht viel mehr darum, den präzisen unbeobachteten Moment des Erkenntnisprozesses zu untersuchen. Es geht um den Einstieg. Was passiert, wenn ich eine Formel entdecke, lese und zu verwenden bekomme? Wie reagiere ich? Was hat Einfluß darauf, ob ich mich dafür interessiere oder nicht? ob ich Lust habe, mich damit zu beschäftigen oder nicht?
Welche Gefühle tauchen dabei auf? Gibt es eine einzige Art und Weise zu verstehen?[…]
Ich selber hatte bis zum Abitur ein ganz gutes Verhältnis zur Mathematik: Ich hatte sogar überlegt, ob ich Mathe studiere. Doch habe ich mich für eine andere Richtung entschieden und jetzt bleibt nicht viel übrig vom Mathe-Leistungskurs. Aus dieser Feststellung heraus kam die Idee, sich mathematischen Situation anders anzunähern als damals an der Schule.
Meine persönliche Erfahrung ist die einzige, die ich inszenieren kann also bin ich Proband meiner eigenen Experimente.
Ganz intuitiv arbeiten aber dabei alles beobachten.
Alle möglich Herangehensweisen sind erlaubt.Verstehen wollen und versuchen zu verstehen sind die Regeln.
WIESO DIE FORMEL?
[…] Zuerst habe ich mich dafür entschieden, Formeln als Mitteln zu nehmen, um über Mathematik zu reden. Die Formel stellt eine Kristallisierung der Mathematik dar. Die Formel ist das, was man noch weiss oder erkennt, auch wenn man alles vergessen hat. Die Formel ist ein Symbol. Sie wirkt als Abstrakt, als Essenz der Mathematik.
Hier möchte ich ein Zitat von Heinrich Hertz einbringen:
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese mathematischen Formeln eine unabhängige Existenz und eine eigene Intelligenz besitzen, dass sie weiser sind als wir sind, weiser sogar als ihre Entdecker, und dass wir aus ihnen mehr gewinnen, als ursprünglich in sie hineingelegt wurde.
Also habe ich eine Liste von 10 + 1 mathematischen Formeln als Arbeitsbasis festgelegt. Nicht alle wurde verarbeitet.[…]
Diese Liste ist Folgende:
1) Satz des Pythagoras
2) Kreisumfang
3) Strahlensatz
4) Dreisatz
5) Mittelwertrechnung
6) Eine Eigenschaft der Exponentialfunktion
7) Binomische Formeln
8) Diskriminante
9) Goldschnitt
10) Eulersche Identität
11) Fermatscher Satz
WAS IST ZU SEHEN?
Jede Formel wurde separat behandelt. Von dem jeweiligen Konzept hat sich die Form ergeben.
Die Arbeiten, die heute zu sehen sind, wurden so nummeriert wie in der ursprünglichen Liste, um den Aspekt des Labors deutlich zu machen. Das ist ein Standpunkt, die Recherchen werden sich wahrscheinlich noch entwickeln und vielleicht wird die Liste ergänzt.
Das sind Vorschläge, Möglichkeiten unter anderen: vielleicht sind sie nur für mich gültig und bestimmt hätte jemand anders andere Assoziationen gehabt.
Sprechen diese Vorschläge andere an? Sollen sie eine größere Öffentlichkeit finden?
Ich habe die Entscheidung getroffen, eine Ausstellung zu machen. Sie ist für mich die Möglichkeit, Bilanz zu ziehen.
Bestimmt kann ich nicht alles erklären, drei Arbeiten möchte ich jetzt kurz vorstellen:
1) Beim Film habe ich versucht, mit Legespielen, Schere und Papier, den Satz des Pythagoras physikalisch nachzuvollziehen und mit meinen Händen und Augen zu verstehen.
2) Beim Kreisumfang bin ich auf π gestoßen, diese Konstante, die so beeindruckend ist, und habe mich gefragt, ob sie so selbstverständlich ist. Möglichst naive Fragen waren meine Herangehensweise zu diesem komplexen Thema.
8) Hier sieht man die Notizen, die ich bei einer Aufgabe aufgeschrieben habe. Mit Kopfhörer kann man einen Text hören, der meine Gefühle dabei erzählt.
Diese Arbeiten zu den Formeln werden von zwei Verbildlichungen von Randphänomenen der Mathematik begleitet, die als Ausgleich gesehen werden können. Sie werden mit den Buchstaben A und B gekennzeichnet.
A) »Fürchtet euch nicht«: Eine Sammlung von Büchern, die alle »Keine Angst vor Mathematik« heißen, mit Gebetsbank und Wand. Deutet die Verbindung zwischen Glauben und Mathematik an, die ich in der Theoriearbeit untersucht habe.
B) »An die Tafel«: Projektion einer Diashow auf Schultafel. Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Gefühlen, die mit der Schultafel verbunden sind.[…]
Zusätzlich bietet die Archivecke die Möglichkeit, Bücher zur Mathematik zu blättern.[…] Ein Interview mit Herrn Herbert Kästner (Prof. für Mathematik und Vorsitzender des Bibliophilen-Abends), ist da zu hören[…].
ERWEITERUNG
Die Beschäftigung mit der Mathematik hat natürlich Fragen zur Vermittlung und Lehre der Mathematik geöffnet.
Martina Kettler zitiert im Buch Der Symbolschock den Pädagogen Wagenschen (1980): Die Schule »legt den Wert zur Formel … als eine schnelle Einbahnstraße an, als ginge es hier ›durch Nacht zum Licht!‹ wird aber nicht auch der Rückweg genauso stark geübt, so ist das Ende Verdunkelung. Mit anderen Worten: Wie oft lernen unsere Schüler eine Sache in solcher Form, dass sie sie ›wisse‹, ohne doch eigentlich zu verstehen, was sie ›wissen‹? Sie können mathematische Formeln nur manipulieren, und das heißt, dass sie selbst manipuliert sind.
Dadurch wird eine breitere Gesellschaftsidee erreicht: Wie wird das Lernen gestaltet? Für wen und mit welchen Mitteln? […] Ist das Lernen nicht für alle gedacht sondern nur für diejenigen, die sich am System anpassen?
Lernt man Inhalte oder eine Denkweise?
Ich wünschte mir, dass diese Ausstellung der Anlass ist, sich darüber Gedanken zu machen. Aber wenn ich nur einen Satz zu dieser Arbeit sagen sollte, wäre es Folgender: Es geht darum, über die Angst vor Mathematik zu lachen.
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